Sueddeutsche Zeitung (3.7.95)
Siouxsie and the Banshees Ausgelassener Frohsinn
Es ist eins dieser Konzerte, wo man nicht genau weiss, ob man darueber lachen oder weinen soll. Bestimmt ist es zunaechst ganz wunderbar, jemandem zu begegnen, auf den die Floskel lebende Legende ausnahmsweise mal zutrifft.
Andererseits ist es doch ein wenig bedrueckend, dass sich die Frau hier im Terminal vor drei- vierhundert Mann ihr Abendessen verdienen muss.
Gerade jetzt, da dank Filmen wie The Crow oder Interview mit einem Vampir die Gothic-Mode wieder aufgekocht wird und sogar Henry Rollins Feuilleton -kompatibel wird, haette Siouxsie Sioux eigentlich die langverdiente Anerkennung zuteil werden muessen - mindestens als Style-Prototyp fuer Millionen junger Maedchen. All die blassgepuderten Gesichter, die toupierten Steckdosenfrisuren und schwarzen Wallegewaender, all das haette es ohne Siouxsie wahrscheinlich nie gegeben - auch wenn das Ganze mittlerweile natuerlich voellig sinnentleert und irgendwie auch ziemlich bescheuert ist.
Zumal man die Frau seit jeher missverstanden hat. Denn ihre Musik war niemals gruftig, sondern immer purer, hooklastiger Pop. Frueher sogar eher noch als heute, aber das liegt wohl eher daran, dass ihr mit 37 allmaehlich die Ideen ausgehen. Sicher sind ihre Melodien stets mollgetoent und die Songs grossspurig und pastoral arrangiert, zur Goetzenbeschwoerung oder noch Schlimmerem hat das jedoch nie getaugt; dass man in der Techno-Szene schon seit laengerem auf Siouxsie-Samples schwoert, sagt im Grunde alles.
Und so wird aus der geplanten schwarzen Messe ein Kessel Buntes. Siouxsie und ihre Banshees-Kameraden spielen fast alle ihrer wunderschoenen verhinderten Welthits und zum Glueck fast nichts aus dem eher maessigen neuen Album The Rapture. Der Beifall ist spaerlich, verdutzt ueber soviel froehliche Ausgelassenheit fordert das schwarzgewandete Jungvolk nicht einmal eine Zugabe und geht. Die Frau darf ihren Lidstrich mit Wuerde tragen.
CHRISTIAN SEIDL
Contributed by Jerry Burch.